Anfliegen
2007 (Lokve 03.-10.3.)
"Plesa, wir kommen!"
Der
Winter in Deutschland schien ausgefallen zu sein, trotzdem sammelte
sich wieder ein diesmal recht beachtlicher Treck nach Thermik
dürstender Piloten mit zahlreichem Anhang. Martin hatte erstmals seine
Schwester Irmtraud
mitgebracht, Peter
seine liebreizende Andrea,
junge Mutti der kleinen Sarah.
Als Gast wieder einmal vertraute uns Alex
nicht nur seine kostbare Urlaubszeit an, sondern zugleich auch die
seiner holden Gemahlin Steffi,
ebenfalls des Umgangs mit Drachen kundig. Mit seiner
Jungenmannschaft Tim und Niklas setzte er uns gleich einer
richtigen Härteprobe aus. Dieser hatte die Trainerfamilie aber mit
Töchterlein Elvira einen
vollwertigen Kontrapunkt entgegen zu setzen. Was Wunder, daß die
tägliche Frühstücksrunde stets von Wettrennen um die
Tische unter Indianergeheul umrahmt wurde. Der Wirt unseres Hotels
"Paradies" in Lokve wuchs wieder einmal über sich hinaus,
tolerierte und parierte nicht nur die über Anmeldung und Erwarten
große Zahl von Gästen mit schnell hergerichteten weiteren
Zimmern, sondern auch mit besonders leckeren Mahlzeiten. Niemand
wunderte sich hingegen darüber, daß des Trainers Frau Olga sich wieder als eingeschworene
Feindin der achtarmigen Tiefseebewohner erwies. Lediglich einmal hatte
eine Forelle die Chance ergreifen können, gegenüber
aufgespießten Kalamaris bevorzugt zu werden.
Selbst
der Trainer als langjähriger Slovenienfahrer konnte sich nicht
erinnern, die Gegend um Lokve im Winter derart von Schnee entblößt
aunzutreffen. In Auswertung der von ihm getroffenen Wetterprognose war Alois schon einen Tag früher
angereist, was ihm auch gleich einen Flug Vorsprung verschaffte und
zugleich die Möglichkeit, den Wirt an sein Versprechern zu
erinnern, in dieser Woche einmal ganz für uns da zu sein. Der
hätte das nämlich glatt vergessen.
Der Sonntag
sollte gleich der beste Tag werden, nicht einäugig unter Blinden,
sondern richtiger König! Ermangels Gleitschirmflieger, aber üppigem
Aufkommen an Chauffeuren war die Logistik denkbar
unkompliziert. Alle fuhren am Morgen voll Erwartung zum
Drachenstartplatz. Der Himmel postkartenblau, ganz leichter Nordwind,
der Horizont glasklar, besser konnten wir es nicht treffen. Rasch die
Drachen auf die Beine gestellt und zugeschaut, was die sehr früh
startenden Piloten aus Österreich in der Luft antreffen werden.
Das waren sie, die ersehnten warmen Aufwinde. Zwar um den späten
Vormittag noch etwas verhalten, aber eindeutig und nutzbar.
Mit
seinem unnachahmlichen Malermeisterkampfruf stürzte sich als
Erster von uns Uli ins
Getümmel der um die Wette aufsteigenden Warmluftblasen und
klettete sich gleich an eine von ihnen an. Rasch folgten Uwe, Alois, Alex nebst Gattin, Gideon, Martin und wieder zum
Schluß Konrad. Der
Trainer hatte stark in gänzlich neues Equipment investiert: neuer
Drache, neues Gurtzeug, neue Rettung
fast neuer Helm. Damit verstoß er gegen die alte Fliegerweisheit,
nur immer eine neue Unbekannte in das Gleichungssystem aufzunehmen,
wenn dessen Lösungen in sicherem Start, schönem Flug und
weicher Landung bestehen sollen. Der Start klappte noch passabel, nach
sicherem Abstand vom Hang wollte Konrad
das Gurtzeug zuziehen, ergriff den Griff, zog dran und - hielt die
Rettung in der Hand! Ganz fix die Verlängerungsleine gegriffen,
damit diese durch den Luftwiderstand den Schirm nicht aus dem
Innencontainer ziehen kann!!! So baumelte das 3kg-Paket dann zwar
ungefährlich aber völlig überflüssig und ungewollt
am Handgelenk des Trainers, dessen Blutzirkulation erheblich
beeinträchtigend. Noch eine kurze Runde über dem Start
gedreht und ab ins freie Gelände. Wenn der Schirm sich doch
selbstständig machen sollte, dann wenigstens nicht in den
Bäumen am Berghang hängen müssen. Der Landeplatz wurde
anvisiert und eine weiche Radlandung beendete das Mißgeschick. Olga löste Emils Bremsen und rollte
talwärts, den Gatten aufzulesen und zu neuen Höhenmetern zu
verhelfen. Der zweite Versuch klappte dann anstandslos, und
ärgerlich über die selbstverschuldete Verspätung machte
sich Konrad auf die Verfolgung seiner Gefährten (immerhin
hatte Konrad damit Alois' Vorsprung von einem Flug
ausgeglichen).
Die waren schon seit 2 Stunden unterwegs zum Plesa, dem
Traumziel eines jeden Slovenien-Abenteurers. Nie waren die Bedingungen
besser gewesen, die 20 Meilen bis zu seinem Gipfel zu überwinden,
dabei lange Hangkanten entlang zu rasen und zwei tiefe Täler zu
queren. Bis auf 2800m trug uns die starke Frühjahrsthermik empor
und legte uns die wundervolle slovenische Landschaft zu
Füßen. Grüne Wiesen in der Ebene, braune Hügel im
Norden, begrenzt allseitig von schimmernden und gleißenden
Bändern, der Adria im Süden und den hohen Schneegipfeln der
Alpen im Norden. Gleich drei neue Plesa-Piloten
gibt es seit diesem denkwürdigen Tag: Uwe,
Gideon und Alex verdienten
sich in gleicher
Stunde diesen Ritterschlag. Leider konnte der Trainer nicht mehr
Augenzeuge des Geschehens werden, zu spät erreichte er den Gipfel
des Plesa, die Gefährten waren schon wieder in die heimatlichen
Gefilde zurück gekehrt und warteten an der Pizzeria Anja auf ihn.
Abends wurde das Ereignis zünftig mit reichlich gekelterten und
gebrauten Produkten des Landes gefeiert.
Am
Montag
wollten wir die Gunst
des schneefreien Winters nutzen und fuhren nach Tolmin, um vom Kobala
zu starten. Vor zwei Jahren mußte Emil
heftig leiden, als Uwe
ihn in elegantem Schwung um eine
Kurve gegen die Kalesche eines einheimischen Bauern lenkte, was
mittelfristig Uwes Barschaft
erheblich schmälerte. Also fuhren wir diesmal entsprechend
vorsichtiger um die engen Kurven auf den Berg hoch. Oben waren wieder
beste Bedingungen, guter Startwind, traumhafte Sicht auf die
schneebedeckten Schneewittchenberge der Julischen Alpen. Rasch
aufgebaut und los! Martin
hatte sich heute für den Schirm entschieden und zeigte
Schwächen im Groundhandling. Eine unverhoffte Bö zerrte ihn
über den Startplatz und durch die Leinen der dort wartenden
Gleitschirmpiloten. Martin
entschuldigte sich artig and begann seine Leinen und Nerven zu
sortieren. Alle Drachen waren in der Luft und schauten auf Martin. Die Bedingungen waren nicht
einfach - böiger Wind und starke Thermik mischten sich am Gipfel
des Kobala. Letztlich meisterte Martin
die Situation und schwang auch sich empor. Konrad konnte der Versuchung nicht
widerstehen, zum Stol zu fliegen, einem 30km entfernten Berggipfel, ihm
gut
bekannt aus den Anfangsgründen seiner Slovenienfliegerei.
An den
SW-Hängen des Stol gleitet die Thermik perfekt auf, und ohne zu
kreisen kann man an ihnen entlang fliegen und dabei nach oben steigen.
Hinter der Antenne auf dem Gipfel noch einen Abschiedsblick in die ganz
hohen Berge und dann zurück ins Socatal, über Kobarid und
Dresnica, dem lieblichen Ort am Fuße des Krn mit der großen
Kirche und der lauten Glocke mit dem Klang einer Eisenbahnschiene...
Alles ging gut, Konrad drehte
sich über dem Landeplatz bei Tolmin gegen die Abendthermik nach
unten, zog den Bremsschirm, schwebte aus und - schlug ein. Ungeübt
und nicht vertraut mit den Raffinessen des neuen Gurtzeuges hatte er
sich nicht richtig aufgerichtet, setzte mit den Rädern auf, die
sich flugs in den weichen Wiesenboden eingruben und den Landevorgang
ganz erheblich verkürzten. Die damit verursachten erheblichen
Trägheitskräfte blieben nicht folgenlos. Gut, daß der
Helm aus gesponnenem Kohlenstoff standhaft blieb und berstendes
Aluminium und Dacron den Gewalten Trotz boten. Thomas Pellicci sei Dank für
die schnelle Schadensbehebung. Ein kleiner Pfeil zeigt nun auf die
Stelle, an welcher des Trainers Haupt das Segel einst
durchbohrte.
Nach zwei so
erfolgreichen Flugtagen war eine Pause angesagt. Um uns diese
Entscheidung nicht zu schwer fallen zu lassen, half Petrus mit einem
Regentag nach. Der schon traditionelle Lötnachmittag an Uwes Funkequipment fiel in diese
Zeitspanne, die Kinder hatten Zeit für die mitgebrachten Videos
und die erfolgreichen Streckenpiloten rechneten schon mal die Kilometer
zusammen. Am Folgetag wurde Wanderwetter registriert, also Autos
am Drachenstartplatz deponiert und auf zur Erstürmung des
Kuceli per pedes. Natürlich bröckelte die Schar der
Wanderlustigen rapide, als sich nach wenigen hundert Metern
Mutterinstinkte durchsetzten. Der harte Kern der frischgebackenen PlesaPiloten
sowie Alois nebst Trainer
erklommen seinen Gipfel und trugen sich in das dort deponierte
Ehrenbuch ein. Nach dem Abstieg überraschte uns Alois mit nicht nur frisch
gebrühtem, sondern durchaus sehr wohlschmeckendem Absud von echten
Kaffeebohnen.
Starker
Wind aus Norden verhinderte auch weiterhin fliegerische
Aktivitäten, also gab es zur Freude von Frauen und Kindern weiter
ungehemmten Tourismus. Die Hublja-Quelle am Fuße des Kovk wurde
besucht und eine Runde um den Rundwanderweg gemacht. Nicht fehlen
durfte eine Höhlenwanderung. Während sich Martin mit seiner
Schwester Irmtraud durch die
engen Spalten der Dante-Höhle quetschte,
fuhren die anderen Exeditionsteilnehmer gemütlich mit einem
Höhlenexpress tief ins Innere der Adelberger Grotte bei Postojna.
Gewaltige Hohlräume im Berg, rauschende Bäche, wundersame
Kunstwerke der Natur aus Kalkstein sind dort zu bewundern, sowie die
völlig blinden und bleichen Grottenolme, angeblich wahre
Hungerkünstler.
Abschließender
Höhepunkt war die Fahrt an die slovenische Adria. Blauer Himmel,
blaues
Wasser, sommerliche Temperaturen - wir schleckern Eis, trinken
Cappuccino, schlendern mit den anderen Touris durch die malerischen
engen Gäßchen, Konrad erweist wieder einmal Tartini seine
Referenz. Wir
fliegen nicht und sind trotzdem sehr zufrieden.
Warte nur Plesa, wir kommen wieder!
Konrad